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Einleitungsworte von Hans Augustin

Hans Augustin

Bereitet den Weg des Herrn


Zwischen den Schlagzeilen / über sintflutartige Regenfälle
und das Abholzen / weiter Teile des brasilianischen Regenwaldes
meldet das lokale Abendblatt / dass der Herr kommt


das macht die folgenden Tage / bei Bäcker, Markt
Friseur und Amtsstube / die Runde


und das Erste / woran gedacht wird,
ist die neue Straße, / die ja noch gar nicht fertig sei


und in der Aufregung / hat niemand / danach gefragt
wann / von wo und womit
und wieviele in dessen Begleitung
und an wen / man sich wenden könne / bei Rückfragen


also wird auf Hochdruck asphaltiert
und die Abdeckung der Kanäle / überprüft


Sicherheitsvorkehrungen getroffen
Straßenbegrenzungspfosten gesetzt
Schilder für / Geschwindigkeitsbeschränkung / Überholverbot /
Wildwechsel / Schleudergefahr an den richtigen Stellen


Leitschienen und ein Brückengeländer montiert


im Laufe der Woche / sickert dann irgendwie durch
dass der Herr / am Donnerstag kommt


die Musikkapelle nimmt / zeitgerecht
am neuen Straßenabschnitt / Aufstellung
die meisten haben sich / dafür frei genommen


die Schützen haben ihre Gewehre
an eine mit Fichtenreisig getarnte / Straßenwalze gelehnt
die nicht rechtzeitig / abgeholt wurde


gegen Mittag / gehen die Honoratioren
schon etwas nervös und gereizt / auf und ab
es gäbe ja auch noch anderes
als auf den Herrn zu warten


der Herr müsste ja längst da sein
und man möge doch endlich / sein Büro anrufen
aber eine Telefonnummer / findet sich nicht
und überhaupt: welches Büro?


die Blumen / beim Empfangskomitee / welken


endlich gegen eins
kommen ein Mann und eine Frau
aus der falschen Richtung / die neue Straße entlang


etwas ärmlich gekleidet / wie man sieht


über der Straße angebracht
das Transparent mit / „Herzlich Willkommen“


diese Mühe ihretwegen / sei nicht notwendig gewesen
sagt der Mann lächelnd


der Polizeikommandant / ist außer sich
dass so etwas passieren kann


und der Präsident / ringt nach passenden Worten


sie hätten hier / die falsche Straße genommen
und wären eigentlich / hier und jetzt
nicht unbedingt erwünscht
weil, wie man sieht / der Herr erwartet würde


und der fremde Mann frägt
welcher Herr?


und mit dieser Frage / gerät der Organisationsstab
in Aufruhr und Erregung / denn es stellt sich heraus
dass eigentlich niemand weiß / welcher Herr


und während
das Empfangs- und Eröffnungskomitee / nicht weiß was tun


geht der Mann mit seiner Frau
die neue Straße weiter / unbekümmert
auf der Suche nach einer Unterkunft
denn die Frau erwartet ein Kind
und die Zeit der Geburt naht


sie würden mit / einem einfachen Zimmer / zufrieden sein


aber wegen der Ankunft / des Herrn
wären alle vermietbaren Zimmer vergeben
beteuert das Mädchen im Tourismusbüro


nur ein Schuppen wäre noch da
hinterm Haus


und den nehmen sie dann / wie die Welt weiß


und bereiten / den Weg des Herrn